In eigener Sache….

Morgen werden es genau zehn Jahre her sein, als M. Kiesewetter durch einen Mord ums Leben kam, und ihr Kollege Martin A. schwer verletzt wurde.

Heute Abend um 22.40 Uhr (für mich zu spät angesetzt) kommt in der ARD ein Film über diese Ereignisse, und möglichen Motive des Mordes. Denn eins ist klar, Mundlos und Böhnhardt haben diesen Anschlag nicht alleine wenn begangen. Es gibt zu viel Sachen, die noch aufgeklärt werden müssten.

Um diese Fakten kümmert sich dieser Film. Denn der Kollege von Frau Kiesewetter, Martin A. möchte wissen welches Motiv hinter dieser schrecklichen Tat steckt. Die Ermittler des LKA BAWÜ kamen später zur Erkenntnis, dass es sich mindestens um bis zu sechs Täter gehandelt haben muss. Doch seitdem dem 4.11.11 ist alles anders. Man hat die beiden Polizeiwaffen in dem Wohnmobil von Mundlos und Böhnhardt gefunden. Die beiden nahmen sich beim Eintreffen einer Polizeistreife sich mutmaßlich das Leben. Erst erschoss Mundlos Böhnhardt, und danach zündete Mundlos das Wohnmobil an, und dann richtete er sich selbst. Die mutmaßliche Enttarnung des NSU war perfekt.

Bei einer eigenmächtigen Begehung ohne die Spurensicherung machte der Einsatzleiter Gotha, eine interessante Entdeckung. Er fand die beiden Polizeiwaffen der beiden Polizisten.

Seit dem Tag wurde die ganze Ermittlungsarbeit einer Polizeibehörde außer Kraft gesetzt. Es waren plötzlich keine sechs Täter mehr, sondern es waren nur noch zwei. Alle Erkenntnisse die man in den Jahren davor gesammelt hatte, und mühsam zusammengetragen hatte, war plötzlich nichtig. Es hieß einfach, M. Kiesewetter und Martin A. sind ein Produkt eines Zufalls gewesen. So steht es zumindest in der Anklageschrift. Selbst der Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses in Berlin, glaubt nicht daran. Dieser meint „Wir haben in Deutschland so viele Polizeibeamte, und deshalb fährt man nach Heilbronn um diese Tat dort zu verüben. Das kann ich mir nicht vorstellen“.

Doch diese Fragen warum müssen gestellt werden, und genau um diesen Fakt kümmert sich dieser Film, „Der Mord an einer Polizistin“

Mit viel Auffand haben Clemens und Katja Rhia diesen Film gemacht und nachgeforscht. Haben viel Zeugen befragt. Und nun kommt ein Artikel in der Süddeutschen von A. Ramelsberger einen Tag vor dieser Ausstrahlung, und zieht dies alles in Zweifel. Man könnte fast meinen, es ist eine klare Programmansage, Leute sieht euch diesen Film nicht an. Der NSU Prozess hat diesen letzten Mord an der Polizistin nicht viele Prozesstage geschenkt. Wie man aber der Autorin in ihrem Text glauben soll, wären alle Dinge schon aufgeklärt worden vom Gericht. Da frage ich mich welche genau, hat das Gericht aufgeklärt? Der Anschlag liegt immer noch im Dunkeln genau wie das Motiv der Tat. Es ist genauso wie bei den anderen neun Morden, das man nicht genau weiß welches Motiv dahintersteht. War es nur Fremdenhass?? Und bei den Polizeibeamten Zufall?

Frau Ramelsberger tut es sich leicht in ihrem Artikel. Viele Zuseher im Prozess die vorher ihre Artikel gelesen habe, meinten später zu mir „wie diese Artikel in der Süddeutschen stehen würden, würde nichts Interessantes passieren im Gericht. Doch das ist gar nicht so. Das ist in der Tat ja so. Ich kann mich nicht wirklich erinnern, das die Süddeutsche insbesondere Frau Ramelsberger mal etwas nachgeforscht hätte, oder was in Zweifel gezogen hätte. Es ist fast wie in einem Tagebuch, was in Prozess passiert ist, aus der Sicht der Bundesanwaltschaft.

Auch Frau Ramelsberger hat versucht den Lesern schon oft den Prozess als bald zu Ende gehend zu beschreiben. Doch was kam heraus, dass dieser noch länger dauerte. Das letzte Mal geschehen als Richter Götzl den Nebenklägern und den Vertretern der Angeklagten sagte, sie müssen bis zu einem Zeitpunkt ihre Beweisanträge stellen. Da wurde gleich getwittert „dass ich das noch erleben darf, dass der Prozess zu Ende geht“. Doch es kam wieder anders. Doch die Süddeutsche hat zu Anfang schon eine quasi Reinwaschung aller Tatmotive per Film gemacht. Man hat eine Homestory bei Andreas Temme gemacht. Was damals dahintergesteckt hat, möchte man lieber nicht wissen.

Eine solche Vorverurteilung eines Filmes, finde ich persönlich ganz schlimm. Denn wenn man nicht mal Fragen aufwerfen darf und kann, die das Gericht NICHT sieht oder behandeln will, muss dies so geschehen. Es ist also kein Wunder das viele Menschen kein Vertrauen in die Presse hat. Doch gerade in dem NSU Prozess gibt es viel Journalisten, Blogger, Filmemacher die vieles Hinterfragen, und nicht der Bundesanwaltschaft folgen. Man sieht was der Südwestfunkt mit diesem Film macht. Dieser sollte morgen um 20.15 laufen, doch der Film ist zu kritisch, also bringt man lieber eine Gesundheitssendung.

Soweit ist es also schon gekommen…Traurig….

Offener Brief der „Initiative NSU Aufklärung“ Baden Württemberg (INA) vom 18.05.2015

INA – Initiative NSU-Aufklärung • c/o Die AnStifter, Werastr. 10, 70182 Stuttgart

An
Herrn Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Herrn Dr. Nils Schmidt, stellvertretender Ministerpräsident
Herrn Wilfried Klenk, Präsident des Landtags
Frau Brigitte Lösch, stellvertretende Präsidentin des Landtags
Herrn Wolfgang Drexler, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses „Rechtsterrorismus/NSU BW“
die Landtagsfraktionen
die Mitglieder des Untersuchungsausschusses „Rechtsterrorismus/NSU BW“
Haus des Landtags
Konrad-Adenauer-Straße 3
70173 Stuttgart
Stuttgart, 18. Mai 2015
Offener Brief

Am 2. Mai waren es 100 Tage, seit der Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus/NSU BW“ des baden-württembergischen Landtags am 23.1.2015 zum ersten Mal öffentlich getagt hatte. Eine gute Gelegenheit für eine Zwischenbilanz.
Wir, die Initiative NSU-Aufklärung (INA), sind eine Gruppe Bürgerinnen und Bürger, die den NSU-Untersuchungsausschuss aufmerksam und kritisch begleiten. Unser Fazit weist positive und negative Aspekte auf, aus denen sich einige Forderungen an den Ausschuss ergeben. Ausdrücklich weisen wir daraufhin, dass unsere Wertungen einzelne Ausschussmitglieder in unterschiedlichem Maße betreffen. Soweit unverzichtbar, werden sie namentlich genannt.
Grundsätzlich begrüßen wir die Absicht und den Auftrag des Untersuchungsausschusses, die bislang nicht aufgeklärten Beziehungen zwischen dem NSU-Netzwerk und der extrem rechten Szene Baden-Württembergs sowie die mögliche Beteiligung des NSU-Netzwerkes am Heilbronner Mordanschlag und die Rolle der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden, insbesondere des Verfassungsschutzes, umfassend zu untersuchen. Nicht zuletzt begrüßen wir die Tatsache seines Zustandekommens, auch wenn die Art und Weise seiner Entstehung einen unwürdigen Prozess darstellte, der sich zeitweise zwischen Provinzposse und Machtpoker bewegte.
Aus der problematischen Entstehungsgeschichte resultieren einige bis heute bestehende Strukturmängel:
• Eine parlamentarische Kontrolle der Exekutive findet in diesem Untersuchungsausschuss, der „schärfsten Waffe des Parlaments“ – nur sehr eingeschränkt statt. CDU- und FDP-Vertreter_innen sollen Vorgänge aus der Zeit ihrer Regierungsverantwortung überprüfen, Vertreter_innen von GRÜNEN und SPD aus der Zeit ihrer Regierungstätigkeit. Daraus ergeben sich – mal mehr, mal weniger erkennbar –Bremsen, wie zum Beispiel eine große Zurückhaltung beim Nach-und Hinterfragen und eine Vorsicht beim Umgang untereinander. Es zeigen sich spezielle Koalitionen z.B. zwischen CDU und SPD, sowie FDP, die bei Kritik an Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden eine reflexartige Verteidigungshaltung an den Tag legen. Etwa bei der Ansprache des „institutionellen Rassismus“ dieser Behörden durch die Bundestagsabgeordnete Dr. Högl, in der z.B. der SPD-Abgeordnete Sakellariou einen Generalangriff auf die Ehre von 25.000 Polizeibeamten witterte. Dabei hatte Dr. Högl lediglich aus dem Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungssauschusses zitiert. Dieser hätte den Ausschussmitgliedern ebenso bekannt sein können, wie die wissenschaftliche Definition von „institutionellem Rassismus“, die gerade auch nicht beabsichtigtes diskriminierendes Handeln und strukturell vorgegebene Verdachtsmuster hervorhebt. Im Übrigen stellte die von den Akteuren dieser großen Koalition offen gezeigte Distanz, gelegentlich aggressive Ablehnung gegenüber den Berliner Ausschussmitgliedern, einen geradezu peinlichen und unwürdigen Auftakt der Tätigkeit des Stuttgarter Gremiums dar.
Dieselbe große Koalition zeigte sich bei der Bewertung der Ortsbegehung in Heilbronn am 4.5.2015: Die Vertreter der drei Parteien kamen auffallend schnell zu einer übereinstimmenden Beurteilung der vorgestellten Zeugenaussagen und zu dem Schluss, dass die Mehr-Täter-Theorie (mehr als zwei Täter) vom Tisch sei. Damit haben sie auf eine gründlichere Analyse der komplexen Befundlage verzichtet, weitere Aktenauswertungen und Zeugenbefragungen nicht abgewartet und sich vorschnell der offiziellen Selbstverteidigungslinie der Ermittler (Staatsanwaltschaften und auch von Teilen der Polizei) sowie des Innenministeriums angeschlossen.
• Einige Abgeordnete, welche die Einrichtung des Untersuchungsausschusses lange Zeit nachdrücklich abgelehnt hatten, sind nun Mitglieder eben dieses Gremiums. Es gibt begründete Zweifel daran, dass sie alle Vorbehalte abgelegt haben und willens und geeignet sind, die vielen Fragen des NS-Komplexes aufzuklären. Zu ihnen zählen besonders der CDU-Abgeordnete Blenke und der SPD-Abgeordnete Sakellariou.
• Einen ganz besonderen Fall der Unvereinbarkeit von früherem Amt und heutigem Mandat sehen wir in der Person von Justizminister a.D. Goll im Untersuchungsausschuss. Goll war zum Zeitpunkt des Kiesewetter-Mordes Justizminister, also Vorgesetzter des Heilbronner Staatsanwaltes und damit mitverantwortlich für dessen Tätigkeit, die viele kritische, bis heute nicht beantwortete Fragen aufgeworfen hat.
• Die bisherige Regelung der Akteneinsicht ist außerordentlich restriktiv. Sie wird von der Behörde, deren Tätigkeit untersucht werden soll, bestimmt. Das betrifft die Entscheidungen über die Auswahl der Akten und deren Teil-Schwärzung sowie die Einschränkungen für die Abgeordneten, sich Notizen zu machen und zu zitieren.

Daraus ergeben sich für uns zwingend folgende Forderungen:
• Die Fraktionen von CDU, SPD, FDP sollen insbesondere die Entsendung des Abgeordneten Goll sowie der Abgeordneten Blenke und Sakellariou in den Untersuchungsausschuss mit der Option überprüfen, sie durch andere Abgeordnete, zumindest jedoch durch ihre Stellvertreter, zu ersetzen.
• Der Landtag und der Untersuchungsausschuss sollen beim Innenministerium von Baden-Württemberg und die Aussagegenehmigungen vor allem von Mitarbeiter_innen des Verfassungsschutzes (einschließlich V-Leute) einfordern. Sie sollen dafür sorgen, dass die Modalitäten der Akteneinsicht durch Mitglieder des Ausschusses im Datenraum dahingehend geändert werden, dass handschriftliche Notizen generell möglich sind (Ausnahmen sind im Einzelnen zu begründen und dürfen die generelle Regelung nicht behindern).

Positiv bewerten wir die bisherige Verhandlungsführung des Ausschussvorsitzenden Drexler, insbesondere seine wiederholten Bemühungen, die Untersuchungen möglichst ergebnisoffen zu gestalten und vorschnellen Bewertungen deutlich entgegenzutreten.

Die folgende Bewertung einzelner Sitzungen und Abläufe muss sich auf einige besonders wichtige Punkte beschränken:
1. Der Fall Florian Heilig:
Die Arbeit des UA an diesem Fall erbrachte wichtige Erkenntnisse dank einer zumindest zeitweise zu beobachtende investigativen Haltung der Mehrzahl der Ausschussmitglieder. Leider fand sie bei den nachfolgenden Befragungen keine Fortsetzung mehr. Besonders die Anhörung des KHK Gencer über den Verlauf der Ermittlungen zum Tod von A. Christ bestätigte das fehlende staatsanwaltliche und polizeiliche Aufklärungsinteresse des Todes von F. Heilig. Wie schon im Fall des Heilbronner Doppelverbrechens dargestellt, folgten die Abgeordneten der bereits angeführten „großen Koalition“ auch hier ihrem Interpretationsschema: „Die Thesen von Staatsanwaltschaft und Polizei wurden bestätigt. Es gibt keine
offenen Fragen mehr.“
Die Frage nach der Ursache des Todes von F. Heilig muss weiterhin offen gehalten werden, da unseres Erachtens noch viel zu viel ungeklärt ist:
• Die Fundstücke aus dem Fahrzeug und der Wohnung von F. Heilig sind noch nicht ausgewertet.
• Warum, in wessen Interesse und in wessen Verantwortung wurde in Stuttgart nicht wirklich ermittelt.
• Welche Beziehungen hatte F. Heilig zur rechten Szene, insbesondere zu den älteren Szenemitgliedern.
• Ebenfalls zu untersuchen sind die personellen, mentalen und strukturellen Ursachen der polizeilichen Wahrnehmungsdefizite in Bezug auf rechtsextremistische Personen und Gruppen im Großraum Heilbronn.

2. Tatortbegehung Heilbronn
Die Tatortbegehung in Heilbronn am 4.5.2015 ermöglichte es den Ausschussmitgliedern, den Journalisten und der Öffentlichkeit, sich ein Bild vom Tatort zu machen und einige Zeugenaussagen räumlich einzuordnen.
Kritik üben wir an den Ausführungen des letzten LKA-„Chefermittlers“ Mögelin. Mit seinem eloquenten und smarten Auftreten konnte er einige Zuhörende und sonst eher kritische Journalisten darüber hinwegtäuschen, dass er eine Auswahl und Bewertung der Befunde vornahm, die vollkommen stimmig war zu der Linie der Staatsanwaltschaft, der Bundesanwaltschaft und dem Berichts der EG Umfeld, ganz im Sinne der Zwei-Täter-Theorie. Er sprach von „Zeugen, die blutverschmierte Personen gesehen haben wollen“ und untergrub deren Glaubwürdigkeit mal subtil, mal offensiv, aber konsequent. In seiner Aussage vor dem Bundestagsuntersuchungssauschuss hatte er diese Zeugenaussagen noch als „vernünftig und glaubwürdig“ und als „korrespondierend“ bezeichnet. Auch ging er kaum auf die Befunde der ersten Ermittlungsgruppe ein, ebenso wenig auf die chaotische Situation am Tatort unmittelbar nach der Tat: Dieser war nicht systematisch abgesperrt und zig Polizisten unterschiedlichster Zuständigkeiten irrten und trampelten auf dem Tatgelände herum. Die Darstellung der einseitig selektierten Befunde vor Ort verlieh ihnen einen nicht gerechtfertigten Anschein von Authentizität.
Noch eine Anmerkung zu der Polemik des Abgeordneten Sakellariou gegenüber den Mitgliedern des Bundestagsausschusses „Ich bin sicher, dass der Berliner Ausschuss Aussagen anders gewichtet hätte, wäre er ebenfalls vor Ort gewesen.“ Vielleicht hätte er einmal seine Parteikollegin Högl fragen sollen, die sich laut Ausschussprotokoll ein Bild vom Tatort gemacht hatte. Jedenfalls klang seine Überraschung über die Eindrücke vor Ort für einen, der gerade 50 km entfernt wohnt, nicht überzeugend.
Um die Umstände des Mordes von M. K. und des Mordversuchs von M.A. aufzuklären, bedarf es unseres Erachtens zumindest folgender Voraussetzungen:
• Der Ausschuss muss die verschiedenen Täterhypothesen einer erneuten, ergebnisoffenen Überprüfung unterziehen.
• Die Indizien für die Mehr-Täter-Theorie sind auch im Blick auf die anhaltende Gefahr, die von Tätern und Unterstützern z.B. für aussagebereite Personen ausgehen könnte, ernst zu nehmen und weiter zu überprüfen.
• Falls eine Beteiligung oder Beihilfe von Dienstpersonen aus dem Bereich der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden an der Tat oder an ihrer Vertuschung in Frage kommt, muss dies ohne Ansehen der Person/en überprüft werden.
• Der Ausschuss soll sämtliche polizeilichen Ermittlungsergebnisse in seine Untersuchungen einbeziehen, auch jene, die durch das Eingreifen der Heilbronner Staatsanwaltschaft nicht weiter verwertet wurden. Auch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft selbst und ihre Motive müssen Bestandteil einer solchen Untersuchung sein.
• Das vielfältige Beziehungsgeflecht, das sich zwischen Kiesewetters Heimatort und den mutmaßlichen Tätern bisher nur in groben Umrissen gezeigt hat, ist gründlicher als bisher zu untersuchen. Ebenso die Beziehungen zwischen dem NSU-Netzwerk und der extrem rechten Szene im Großraum Heilbronn, in Schwäbisch Hall, Ludwigsburg, Stuttgart und darüber hinaus.
• Die Akten der Ermittlungen im Fall Kiesewetter/Arnold sind dem Ausschuss vollständig zugänglich zu machen.

Zuletzt fordern wir, die Sitzungsprotokolle des Untersuchungsausschusses zeitnah auf der Homepage des Landestags von Baden-Württemberg zu veröffentlichen. Dies ist, neben der Möglichkeit, die öffentlichen Sitzungen zu besuchen, ein wesentlicher Beitrag zu größtmöglicher Transparenz und eine wichtige Bedingung demokratischer Teilhabe.

INA – Initiative NSU-Aufklärung

Aliens. – Um den NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg ist ein gnadenloser Machtkampf entbrannt

Aliens. – Um den NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg ist ein gnadenloser Machtkampf entbrannt

Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich: Erst sollte die Aufklärung des Polizistenmordes von Heilbronn, Mord Nummer zehn im NSU-Komplex, mittels der Ermittlungsgruppe Umfeld des Landeskriminalamtes (LKA) verhindert werden, dann mittels einer Enquête-Kommission im Landtag, nun durch einen Untersuchungsausschuss selber.

Am 4. Mai 2015 nahm der Ausschuss den Tatort Theresienwiese in Heilbronn in Augenschein und ließ sich vom LKA-Vertreter Axel Mögelin Ermittlungsergebnisse schildern – und auf einmal scheinen alle Zweifel beseitigt. Der Mordanschlag auf die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen Martin Arnold geschah doch so, wie es die Bundesanwaltschaft behauptet: Allein durch zwei Täter. Beispielhaft für das fast einhellige Presseecho die kleine taz-Schwester Kontext: „Ein einziger Spaziergang von gut zwei Stunden hat den baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss einer Lösung seiner Aufgabe nähergebracht, die Umstände der Ermordung von Michèle Kiesewetter aufzuhellen. Die Begehung der Heilbronner Theresienwiese konnte die bisherige Zwei-Täter-Theorie der ermittelnden Behörden nicht erschüttern. Eher im Gegenteil.“

Medien, die Sprachrohre der Offiziellen werden. Tatsächlich hat sich ein gnadenloser Machtkampf in und um diesen Untersuchungsausschuss entwickelt, der wenig Spielraum lässt. Zunächst: LKA-Mann Axel Mögelin, letzter Leiter der SoKo Parkplatz, verfälscht und manipuliert die Ermittlungsergebnisse seines eigenen Amtes. Er gibt Zeugenaussagen nicht korrekt wieder und verneint die Einschätzungen, zu denen die Kriminalbeamten vor dem November 2011gekommen waren. Vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss sprach er im September 2012 selber von korrespondierenden Zeugenaussagen, die nahelegen, daß vier bis sechs Täter an dem Überfall beteiligt waren. Heute stellt er das in Abrede. Damals wollte die SoKo Parkplatz drei Phantombilder zur Fahndung herausgeben. Die Angaben der Zeugen erschienen den Ermittlern stimmig und glaubhaft. Jetzt qualifiziert Mögelin die Aussagen dieser Zeugen ab und bestreitet ihren Wert. Mögelin leugnet Mögelin, könnte man dazu sagen. Offensichtlich hat sich das LKA entschieden, entwertet seine eigene Arbeit und unterwirft sich wider besseres Wissen den Vorgaben von Bundesanwaltschaft und Landesinnenministerium. Danach waren die Täter allein Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Und das, obwohl Bundeskriminalamt (BKA) und LKA in ihren Ermittlungen nach 2011 zu dem Ergebnis kamen: „Ein eindeutiger Nachweis, daß Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe in Heilbronn waren, konnte bislang nicht erbracht werden.“ (Ermittlungsbericht BKA, Oktober 2012)

LKA-Vertreter Mögelin hat bei dem Ortstermin in Heilbronn aber nicht nur Spuren tendenziös präsentiert, er hat auch wichtige Spuren und Zeugenaussagen verschwiegen. Zum Beispiel, daß vier Zeugen unabhängig voneinander zwischen 13.20 h und 13.50 h, zum Teil nur wenige Minuten vor dem Anschlag, an vier Stellen auf und an der Theresienwiese vier Streifenwagen gesehen haben. Kiesewetter und Arnold waren zu den Zeitpunkten noch nicht am späteren Tatort. Es sind Spuren, die in die Reihen der Polizei hineinführen und die von den Ermittlern nicht weiterverfolgt wurden. Offensichtlich sollen sie es auch heute noch nicht.

Die Entwicklungen lassen nur einen Schluß zu: Der Wille im Sicherheitsapparat, die Aufklärung der NSU-Mordserie zu verhindern, ist größer geworden, die Vertuschungsabsicht 2015 stärker als 2012. Das muß zu denken geben.

Der Ausschuss hatte in seinen ersten Sitzungen atemberaubende Enthüllungen gezeitigt, Stichwort: Todesfall Florian H. und die unterlassenen Ermittlungen. Dann der plötzliche Tod der 20jährigen Melisa M., ehemals Freundin von Florian H., die im Ausschuss als Zeugin gehört worden war. Doch nach den letzten Sitzungen mußte man den Eindruck gewinnen, daß der Ausschuss zumacht. Es scheint, als ist er über seine eigene Aufdeckungswirkung regelrecht erschrocken. Nun wird konservativ gefragt, es wird nicht zuende gefragt, es werden vorschnell Schlüsse im Sinne der Behörden gezogen, es werden die nötigen Akten nicht angefordert, es wird akzeptiert, daß Akten nur schleppend geliefert werden, und es werden die Regelungen des Geheimschutzes akzeptiert (lediglich Einsichtnahme in Akten, keine Kopien), aufgestellt von Behörden, die doch eigentlich Untersuchungsgegenstand des Ausschusses sind.

Mehr als drei Monate hat es gedauert, ehe die Ermittlungsakten des LKA zum Mordfall Heilbronn den Ausschuss erreichten. Den Fall Arthur C. mußten die Abgeordneten ohne Kenntnis dieser Akten behandeln. Die Akten zur V-Frau „Krokus“ bekamen sie ganz kurz vor dem entsprechenden Sitzungstag vom 27. April, nämlich am Freitag, 24. April. Das grenzt an Sabotage. Doch der Ausschuss blieb klaglos. Dabei kann er auch anders. Am 7.Mai hat der Vorsitzende Wolfgang Drexler per Pressemitteilung Hajo Funke ultimativ aufgefordert, die Beweismittel im Falle Florian H. (Notebook, Handy, Camcorder) bis zum 22. Mai dem Ausschuss zu übergeben. Ein kalkulierter Affront. Von einer ähnlichen öffentlichen Aufforderung beispielsweise gegenüber Innenminister Reinhold Gall hat man bisher nichts vernommen.

Seit sechs Wochen, seit dem Tod am 28. März 2015, dauert die Obduktion von Melisa M. nun schon an, ohne daß man ein Ergebnis erfährt. Kritik an dem tendenziösen und unbestimmten Vorabbericht („…dürfte [!] sich aus dem unfallbedingten Hämatom im Knie ein Thrombus gelöst und die Embolie verursacht haben“) wies der Ausschussvorsitzende zurück.

Als Frontmann gegen die Aufklärung und für die offizielle Version erweist sich immer mehr der SPD-Abgeordnete Nikolaos Sakellariou. Dabei ist er doch nur konsequent. Drei Jahre lang kämpfte er energisch gegen einen Untersuchungsausschuss an, lobte 2014 den oberflächlichen und mangelhaften Bericht der EG Umfeld, besser könne es ein Untersuchungsausschuss nicht machen und verstieg sich dabei zu der entlarvenden Aussage, so wörtlich: „Der Bericht der EG Umfeld ist gerade deshalb so gut, weil er nicht alle Fragen beantwortet.“ Daß ausgerechnet er nun trotzdem Obmann in diesem Ausschuss ist, könnte man als Treppenwitz verstehen, besser aber als die programmatische Infragestellung des Gremiums.

Was sich Sakellariou nach dem Tatorttermin in Heilbronn erlaubt, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Auch für ihn ist nach der Besichtigung der Theresenwiese die Zwei-Täter-Theorie belegt. Mehr noch: Er kritisiert den Bundestags-UA, der hätte doch auch nach Heilbronn kommen sollen, dann wäre er womöglich zu einer ähnlichen Einsicht gelangt. Da wohnt dieser Mann nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt in Schwäbisch Hall und hält es acht Jahre lang nicht für nötig, auch nur ein Mal zur Theresienwiese zu gehen. Da argumentiert er Jahre lang, sozusagen ignorant und unkundig, gegen einen Untersuchungsausschuss an und greift dann Abgeordnete an, die engagiert und lange vor ihm taten, was er nun vorgibt zu tun. Einige der MdBs waren übrigens vor Ort in Heilbronn, auch mehrfach. Es scheint zur Methode Sakellariou zu gehören, einfach mal etwas anderes zu behaupten. Wenn er dann noch mit Blick auf die Journalisten, die als Sachverständige vor dem Ausschuss ausgesagt haben, (u.a. der Autor dieses Textes) erklärt, er hätte uns andere Fragen gestellt, wenn er vorher schon mal in Heilbronn am Tatort gewesen wäre, dann argumentiert der urplötzliche Aufklärer nicht nur mit seiner eigenen Inkompetenz, sondern auch mit seiner Feigheit. Er hat sich schlicht nicht getraut, kritische Fragen an uns zu stellen.

Was soll Nikolaos Sakellariou in diesem Ausschuss? Neben ihm müßte mindestens auch Ulrich Goll, FDP, aus dem Gremium zurückbeordert bzw. der Rücktritt nahegelegt werden. Auch Goll hat sich lange Zeit entschieden gegen diesen UA ausgesprochen, O-Ton im Februar 2014 bei der Vorstellung des EG Umfeld-Berichtes: „Natürlich sind nicht alle Rätsel gelöst – sie können wahrscheinlich auch nicht gelöst werden.“ Vor allem aber: Wie soll er sein eigenes früheres Regierungshandeln aufarbeiten? Denn Goll war zum Zeitpunkt des Kiesewetter-Mordes Justizminister von Baden-Württemberg und damit Dienstherr des verantwortlichen Staatsanwaltes von Heilbronn, Christoph Meyer-Manoras, der die Ermittlungen sabotierte. Meyer-Manoras verweigerte die Veröffentlichung von Phantombildern für die Fahndung, verhinderte die Sicherstellung des privaten Emailverkehrs von Michèle Kiesewetter und traf sich an den offiziellen Ermittlungen der SoKo Parkplatz vorbei mit dem Anschlagsopfer Martin Arnold, um gegen die Ermittler zu intrigieren. Die Unterdrückung der Phantombilder hatte den Segen des Generalstaatsanwaltes von Stuttgart, Klaus Pflieger.

Neben Staatsanwalt Meyer-Manoras (Zeuge am 22. Mai in Stuttgart), müssten der frühere Generalstaatsanwalt Pflieger sowie der frühere Justizminister Goll als Zeugen vom Ausschuss vernommen werden. Ausschussmitglied Matthias Pröfrock, CDU, wollte den Innenminister als Zeugen hören. Er kann sich beweisen: Ist er auch dafür, den damals verantwortlichen Justizminister zu hören?

Schon im Bundestags-UA hatte sich ein Machtkampf zwischen Parlament und Exekutive um die Aufklärung der Hintergründe des NSU-Mordkomplexes entwickelt, wie nun im UA von Baden-Württemberg. Der Unterschied ist: im Bundestag standen die Obleute aller Fraktionen gemeinsam und geschlossen gegen die Exekutive – in Stuttgart aber führt die Auseinandersetzung mitten in den Ausschuss hinein. Dort hat die Exekutive ihre Vertreter sitzen – Aliens, die in ihrem Interesse operieren und den wahren Auftrag dieses Gremiums verraten.

Thomas Moser